Gedanken zur genetischen Situation der Rasse Azawakh

Autorin:Dr.med.vet.Gabriele Meißen

erstmals veröffentlicht in “Unsere Windhunde” November 2008

 

Amanar Import Mali 1996


Zunächst einmal möchte ich etwas weiter ausholen, um die Geschichte der Rasse Azawakh in Europa kurz zu beleuchten und plausibel zu machen, dass es unvermeidlich und sinnvoll ist, aus den Ursprungsländern Mali, Niger und Burkina Faso importierte Azawakhs züchterisch zum Einsatz zu bringen.

Die Anfänge der europäischen Azawakhzucht basieren bekanntlich auf nur sehr wenigen Hunden. In den sechziger und frühen siebziger Jahren brachten einige, in den damaligen, auch das Ursprungsgebiet des Azawakhs umfassenden, französischen Kolonien beschäftigte Franzosen, Windhunde aus dieser Region bei ihrer Rückkehr mit nach Frankreich. Mit einigen dieser Tiere wurde begonnen zu züchten und die sogenannte französische Linie der europäischen Azawakhzucht begründet.

So brachte die von Parigi importierte Hündin TOBORO II zwischen 1972 und 1978 vier Würfe von vier ebenfallls aus dem Ursprungsbebiet stammenden Rüden zur Welt. Es handelt sich um AIKAR, AOURAKH, ADIGNAZ und TARGOUI.

Der größte Teil der französischen Zuchtbasis bestand also aus einer Halbgeschwistergruppe.

Die von Francois Roussel importierte Hündin TAHOURA bekam 1975 einen Wurf nach Oueleda, einem Rüden aus der Verpaarung von Toboro II mit Aikar. Der aus dieser Verbindung stammende L´Azeraf wurde unter anderem auch in Deutschland zur Zucht eingesetzt.

Kaola, eine Tochter von Toboro II und Adignaz wurde 1979 mit TAKADAMAT, einem weiteren Importrüden verpaart. Die aus diesem Wurf stammende Pegga ist die Mutter des allseits bekannten Timgad, der heutzutage in nahezu jedem Azawakhpedigree zu finden ist.

Timgad

Die französische Linie basiert also tatsächlich auf lediglich sieben importierten Tieren, was die genetische Basis von Beginn an sehr eng gestaltete.

Die Zuchtbasis der in Jugoslawien begründeten Linie stellt sich sogar noch deutlich enger dar. Etwa um dieselbe Zeit wie in Frankreich bekam Dr.Pecar, ein jugoslawischer Diplomat, der in Mali tätig war, zwei Hunde geschenkt, die aus der Region Menaka im Azawakhtal in Mali stammten.

 Es waren LARA und GAO. Die Tiere wurden nach Jugoslawien verbracht und man begann auch dort zu züchten. 1976 wurde noch DARKOYE SIDI, ein aus der Provinz Oudalan in Burkina Faso stammender Rüde importiert und zur Zucht eingesetzt.

Darkoye Sidi, Import Burkina Faso

 Darkoye war nach heutigen Maßstäben ein ausgesprochen rustikaler Hund. Heutzutage wäre viel Mut erforderlich, einen Hund solchen Typs in die Zucht einzubringen und ich wage zu behaupten, dass eine Reinrassigkeitserklärung durchaus schwierig gewesen wäre.

 Nachfahren dieser Hunde waren der Beginn der schweizer, deutschen, tschechoslowakischen und polnischen Zucht.

Die Jugoslawische Linie bestand also tatsächlich aus lediglich 3 Ausgangstieren.

Gao wurde insgesamt neun Mal zur Zucht eingesetzt, davon sieben mal mit seinen eigenen direkten Nachfahren und Darkoye wurde zunächst in Yugoslawien, später in der Tschechoslowakei und in Deutschland acht mal züchterisch genutzt. Auch hier ausschließlich für Hündinnen der jugoslawischen Linie, die meist eng mit ihm verwandt waren oder von ihm abstammten.

In Ermangelung weiterer Zuchttiere wurde während der zuvor beschriebenen Anfänge der Azawakhzucht in Europa zwangsläufig sehr eng gezüchtet, Inzestzucht (= Verpaarung von Individuen in engsten Verwandtschaftsgraden, wie etwa Voll- oder Halbgeschwisterverpaarung oder Eltern mit ihren direkten Nachkommen) war keine Seltenheit. Dies hatte sehr rasch eine genetische Verarmung des Bestandes zur Folge. Schwindelerregende Inzuchtkoeffizienten von teilweise bis zu 40 % und ein hoher Ahnenverlust waren das Resultat dieser Zuchtstrategie.

Die Folge ist bekanntermaßen Inzuchtdepression, d. h. die Verminderung von Vitalität, Fruchtbarkeit und Leistungsfähigkeit. Mit steigender Inzucht werden immer mehr Genorte gleich besetzt und die Nachzucht wird dementsprechend homogener, sowohl phänotypisch als auch genotypisch. Durch zunehmende Homogenisierung besteht auch die Gefahr, dass sich Defektgene (d.h. Gene, die für die Ausprägung von Erbkrankheiten verantwortlich sind) „treffen“, was zum verstärkten Auftreten von Erbkrankheiten führen kann.

 Das beste Beispiel dafür ist die damals stark von Epilepsie betroffene jugoslawische Linie. Die Häufigkeit des Auftretens von Epilepsie steigerte sich von Generation zu Generation mit zunehmendem Inzuchtgrad.

 Bei solch engster Linienzucht können bei entsprechender Selektion infolgedessen zwar immer edlere und feinere Azawakhs gezüchtet werden, aber diese auf Übertypisierung hinauslaufende Entwicklung hat häufig negative Auswirkungen auf die Anatomie. Wir sehen dies beispielsweise an extrem engen Fronten, fragilen Läufen, losen Gelenken, steppendem statt ausgreifendem Gangwerk, zu schwachen und kurzen Unterkiefern. Als Folge dessen dann zum Teil auch Fangzahnengstand und mitunter auch fehlendes Geschlechtsgepräge der Rüden.

Im Laufe der Jahre begann man dann dank der Initiative einiger Züchter, darunter auch die Familie Hochgesand, die beiden bis dahin isoliert gezüchteten Linien untereinander zu verpaaren, was für kurze Zeit den Inzuchtgrad, jedoch nicht den Ahnenverlustkoeffizienten erheblich senkte. Dieser Effekt hielt verständlicherweise nur kurze Zeit an.

Last but not least soll die Familie Coppe, Zuchtstätte Kel Tarbanassen in Frankreich, nicht unerwähnt bleiben, die Mitte der achtziger Jahre mit ihren drei aus Mali importierten Hunden, TEKEWELT, EJEKER und C´BABASH zunächst rein auf Importbasis zu züchten begann, später noch unter Einbeziehung einer Hündin aus französischer Zucht, Cenerentola des Nomades Bleus.

Tiere aus ihrer Zuchtstätte hatten erheblichen Einfluß auf die gesamte europäische Zucht.

Sie finden sich in der überwiegenden Zahl aller Pedigrees europäischer Azawakhs. So etwa Kel Tarbanassen Firhoun, Guerwane, Gurerouguerou oder Farah, um nur einige Namen zu nennen.

 Wenn man nun diese drei Importe noch zu den klassischen Begründern der europäischen Azawakhzucht hinzuzählen möchte, sind wir bei insgesamt 13 Importtieren angelangt.

Jeder, der nur den Hauch einer Ahnung von moderner Tierzuchtlehre hat, wird mir zustimmen, dass das als Ausgangspopulation für die Gründung einer gesunden Zuchtbasis nicht einmal ansatzweise genug ist.

Gäbe es nicht in den letzten 20 Jahren immer wieder Importe aus den Ursprungsregionen, könnte man aufgrund der extrem kleinen europäischen Ausgangspopulation heute bereits kaum noch guten Gewissens züchten. Alle Hunde in Europa sind engstens miteinander verwandt. Dies wird natürlich aufgrund der langsam fortschreitenden Anzahl an Generationen in den Pedigrees dem unerfahrenen Betrachter nicht sofort klar. Schaut man sich aber weiter hinten liegende Generationen eines Pedigrees an, wird man feststellen, dass nahezu alle dieselben Vorfahren haben. Erfreulicherweise in letzter Zeit etwas „aufgelockert durch den einen oder anderen Import.

Die Rasse Azawakh wäre ohne die Einbeziehung ausgewählter Importhunde deshalb genetisch längst am Ende der Fahnenstange angelangt.

Verschärft wurde die genetische Verarmung der Rasse zusätzlich noch durch den populationsgenetisch völlig unsinnigen, vermehrten Einsatz einiger besonders beliebter, erfogreicher und typvoller Deckrüden ab  Mitte der neunziger Jahre, sogenannter Matadorzucht.

Kel Tarbanassen Firhoun

 So kam der wirklich einmalig typvolle Rüde Kel Tarbanassen Firhoun insgesamt 12 Mal im Laufe seines Lebens erfolgreich zum Deckeinsatz, Gefell de Garde Epee und sein Bruder Greboun jeweils zehn mal und prägten damit nachhaltig den Typ der Rasse in Europa. Dies bewirkte natürlich für die genetische Situation der Rasse einen deutlichen „Flaschenhalseffekt“.

Stellt man sich vor, dass jedes Jahr in Europa nur wenige Würfe geboren werden und ein nicht unerheblicher Prozentsatz von diesen drei Rüden, deren Mütter nebenbei auch noch Vollschwestern waren, entweder direkt oder von ihren unmittelbaren Nachfahren abstammt, so kann man erkennen, dass dies eine erhebliche Einengung der ohnehin beschränkten genetischen Breite zur Folge hatte.

Nach diesem kurzen Abriss der Zuchtgeschichte der Rasse in Europa, ist sicherlich eindeutig erkennbar, dass der vermehrte und kontinuierliche Einsatz von Import Azawakhs aus dem Ursprungsland der Rasse unverzichtbar ist, um der Zuchtpopulation eine ausreichende genetische Breite zu ermöglichen und deren Fortbestand auch langfristig zu garantieren.

Seit Beginn der neunziger Jahre werden zunächst vermehrt in Deutschland, aus Mali, Niger oder Burkina Faso importierte Azawakhs in das Zuchtgeschehen integriert.

 Doch auch in Frankreich, dem standardführenden Land, sind in jüngerer Zeit in zahlreichen Zuchtstätten Würfe mit Importhunden bzw. Importabkömmlingen der ersten Generation gefallen. Dort hat man schnell gelernt, den Importhund nicht als Konkurrenz, sondern als Bereicherung der Rasse und des Genpools zu begreifen.

Tainoss , Import Burkina Faso

 Sogar hierzulande derzeit nicht zugelassene Verpaarungen von Importhunden („Imp. 0 x Imp.0“) hat es aktuell in Frankreich gegeben – mit sehr ansehnlichem Ergebnis weitere Verbindungen sind geplant. Beispielhaft seien hier nur einige der zur Zucht eingesetzten Importe genannt: Dazol in Chenan, Yaris und Biyanou, importiert von Ursula Arnold, Amanar, Tainoss, Taytok, Azabor, Aurakh InjakokTaikoussou ak Intangoum, Kela, Tigidit und Agarouf, importiert durch A.B.I.S. ,Salome, Aikar und Akchi, importiert von Strassner und Eiles, E´Chipie Menaka und in jüngerer Zeit auch Ramzes und Taira in der Zuchtstätte de Garde Epee.

Natürlich kann man, wenn man möchte, gern über die „Qualität“ der importierten Hunde diskutieren, denn der eine oder andere robustere Hund, von dem sich der in Europa gezüchtete Typ bereits weit entfernt hat, ist schon dabei. Doch sind die hierzulande gezüchteten Hunde ohne Importblutanteil immer perfekt?

Hier kommen wir zu dem Punkt, an dem man unweigerlich die, von Züchter- und Halterkreisen, die dem Einsatz von Importhunden kritisch gegenüber stehen, gerne verkündete “Schöpfungslegende” betrachten muss.

In den schönsten Farben wird das Fabelwesen eines hochedlen Tieres gemalt, des Begleiters der blauen Ritter der Wüste, das auf wundersame Weise völlig isoliert  irgendwo im tiefsten Azawakhtal gefunden und dann zur Begründung einer ebenso edlen Population nach Europa exportiert worden sei. Jahrelange immer wieder durchgeführte Expeditionen in die Ursprungsregion, sowie die empirische Erfassung des Bestandes, belegt durch abertausende von Photos in den letzten 15 Jahren durch A.B.I.S. widersprechen und „entzaubern“ diese Legende. Man kann sie also getrost dem Reich der Mythen zuordnen.

 

C´Babash, Import Mali

Sicherlich waren auch edle Hunde unter den ersten Importen genau wie unter den heutigen. Aber auch etwas „rustikalere“ Rassevertreter, wie der zuvor im Abschnitt über die jugoslawische Linie genannte Darkoye Sidi  oder auch später C’Babash, der in der Zuchtstätte Kel Tarbanassen eingesetzt wurde – diese seien hier nur als Beispiel genannt – waren weder edler noch typischer als ein nach hiesiger Auffassung als durchschnittlich bewerteter Importhund der jüngeren Zeit. Dennoch war und ist ihr züchterischer Einsatz auf lange Sicht hin lohnend und unverzichtbar.

Auch können Importhunde sowohl im Show- als auch im Leistungssektor durchaus Erfolge aufweisen. Bereits Mali, 1982 von Rudolf Caster aus dem gleichnamigen afrikanischen Staat importiert, wurde Deutscher Champion. Der 1984 von Ursula und Reinhard Arnold aus Niger importierte Rüde Yaris wurde Deutscher Champion und Landessieger NRW 1986 und 1987. Er lief erfolgreich auf der Rennbahn und bekam die Leistungsurkunde zuerkannt. Die 1986 ebenfalls von Familie Arnold aus Mali importierte Hündin Dazol in Chenan wurde Deutscher Champion, sie gewann 1988 das Internationale Derby und wurde 1991 Kurzstreckenmeister, auch sie erhielt die Leistungsurkunde. Akchi, 1986 importiert aus Mali von Elisabeth Eiles und Hans-Jürgen Strassner, wurde Deutsche Champion. Aikar Azol Elkor, im Jahr 1987 gleichfalls importiert von Elisabeth Eiles und Hans-Jürgen Strassner, wurde Deutscher und Österreichischer Champion. Auch die 1989 importierte Hündin Salome wurde Deutscher Champion, VDH-Champion und gewann zahlreiche Landessiegertitel, sie ist Stamm-Mutter der Zuchtstätte Kel Tin-Hinan.

 

Ch.Taikoussou ag Intangoum, Import Burkina Faso

Als die bei einer ABIS-Expedition 1993 aus Burkina Faso importierte Hündin Ch.Taikoussou ag Intangoum im Jahr 2003 aus der Veteranenklasse heraus Jahressiegerin wurde, gewann sie das Stechen gegen erstklassige Hündinnen, die ihrerseits jeweils gut besetzte Klassen gewonnen hatten. Seinerzeit waren immerhin 40 Hündinnen gemeldet (6 x Jü, 2 x JK, 17 x OK, 6 x GK, 6 x SK, 3 x VK). Weiterhin war sie Deutsche Championesse, VDH-Champion und Landessiegerin Bayern 1995.

Die im Jahr 2000 importierte Hündin Taytok, die drei Mal zur Zucht eingesetzt wurde, trägt – als erste Importhündin überhaupt – den Titel „Champion für Schönheit und Rennleistung“

Taytok, Import Mali

Im Sport bewies vor allem der 1995 im Rahmen der V. ABIS-Expedition importierte Azawakhrüde Azabor herausragende Qualitäten. Von 12 Rennen gewann er 9, holte zweimal den Titel Landesrennsieger Berlin-Brandenburg und lief auf 480 m die sensationelle Zeit von 33,70 sec. Er ist Vater des C-Wurfes Agg Amaias.

Der von Alberto Rossi 1997 importierte Rüde Tigidit, der immerhin drei mal in die Zucht gelangte, gewann die Coursing-EM 2002. Alberto Rossi benannte seine Zuchtstätte nach dem ihm sehr am Herzen liegenden Rüden.

 Tigidit, Import Mali

Und bei genauerem Betrachten kommt man einfach nicht umhin festzustellen, wie schnell mit etwas züchterischem Talent und Weitblick mit Importhunden in wenigen Generationen auch hochedle Rassevertreter gezogen werden können. Die Erfolge aller Importnachkömmlinge der ersten oder zweiten Generation hier aufzuführen, würde bei weitem den Rahmen sprengen.

Um dies zu veranschaulichen, hier nur ein Beispiel:

Taytok – Import aus Mali

 

Taletmot Idiiyat es Sahel – erste Generation

Tombouktou´s Yosal – zweite Generation

Abschließend bleibt zu sagen, dass der weitere züchterische Einsatz von Importhunden, auch von weiteren, neuen Exemplaren aus der Ursprungsregion, nach modernen populationsgenetischen Erkenntnissen zwingend notwendig sein wird, um unsere Rasse langfristig auf „gesunde Pfoten“ zu stellen.

Der aktuelle FCI Azawakh Standard, auch wenn ich mir persönlich eine Ausweitung der Farb- und Zeichnungsvariationen wünschte, gibt genügend Raum für züchterische Interpretation.

Es sollte möglich sein, trotz auseinandergehender Ansichten zur genetischen Situation der Rasse in sportlichem Mit- und Nebeneinander zu existieren und der Rasse eine Perspektive zu geben.

Züchten heißt für mich, in Generationen zu denken.

Und wenn ein großer Teil der deutschen/europäischen Züchterschaft bereit ist, zum Erhalt der Rasse, Importazawakhs in ihre Zuchtprogramme aufzunehmen, so sollte dies, wenn nicht gefördert, doch zumindest nicht blockiert werden, um der Zukunft der Rasse eine Chance zu geben.